Samstag, 18. September 2010

Nicht nur zum Schein politisch

Zur Installation M for Fake von Nataša Drakula
Von Richard Rabensaat



1.
„Wir sind seit dreizehn Jahren glücklich verheiratet. Wir haben noch nie einen Streit gehabt“. Dieses erfreuliche Resümee spricht eine der Frauen, die als Schattenriss in der Installation von Nataša Drakula erscheint. Ihren Namen kann sie nicht nennen, denn sie muss fürchten, ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren, wenn ihre Ehe vor den Behörden als Fake erscheint.

M For Fake, Heirat als Schwindel, ist der Titel der Multi-Chanel-Installation in dem Projektraum Meinblau. Dem eindeutig erkennbaren Bild ihrer eigenen Heirat stellt die Künstlerin vier Filme gegenüber, in denen die Protagonisten nicht erkennbar sind. Die multiethnische Heirat von Nataša Drakula erscheint als unbeschwertes, fröhliches Fest, bei dem die Standesbeamtin, sichtlich erfreut  über das nette Paar, ermunternde Worte zur gemeinsamen Zukunft der beiden Kandidaten spricht. Nichts in dem Video läuft dem Bild einer zukunftsgerichteten, hoffnungsvollen Eheschließung zuwider. Eine Brass-Band verbreitet gute Stimmung und auch nach der offiziellen Zeremonie verbleibt das Paar noch auf einen Umtrunk im Amt. Das Bild der feuchtfröhlichen Heirat ist dem Augenschein nach ein völlig anderes als dasjenige des eingangs erwähnten glücklichen Paares, dessen Eheschließung einzig den Zweck hatte, die Abschiebung der erzählenden Unbekannten  zu verhindern.

Die Ehe der Künstlerin ist geschieden, die Anfangs erwähnte besteht immer noch. Dies obwohl der glückliche Ehemann zudem schwul ist und die Ehe im Sinne des bürgerlichen Gesetzbuches nie vollzogen wurde. Die im Schattenriss beschriebene Ehe ist also bestens geeignet zu Fragen über Sinn, Zweck und Inhalt einer Eheschließung Anlass zu geben. „Wir sind ein Ehepaar. Ich habe das wirklich nie so als Scheinehe gesehen“, stellt die Protagonistin fest. Es stellt sich die Frage nach der Abgrenzung von Ehe, Zweckehe und Scheinehe. Offensichtlich ist die zunächst aus rein pragmatischen Gründen geschlossene Ehe, mit der das Paar lediglich den Zweck verfolgt hat, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für die Frau zu erlangen, manchmal stabiler als ein Grossteil vermeintlicher „Liebesheiraten“. 

Als der Mann vorschlägt, weiterhin ein Paar zu bleiben, nachdem der Zweck der unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung erreicht ist, willigt die Frau erfreut ein: „Ich fand das toll, ich hatte nichts dagegen, ich habe mich wohl gefühlt.“ Bei Familien-, Geburtstags-, und sonstigen Feiern pflegt das Paar den gemeinsamen Bekanntenkreis, trotz seiner bekannten Homosexualität ist sie in seiner Familie und in seinem Bekanntenkreis akzeptiert. Die Bekanntschaft mit seiner Community empfindet sie als Bereicherung. Hier hat der Zweck nicht die Mittel geheiligt sondern ist zum Selbstläufer geworden, der sicher auch einen potentiellen Staatsanwalt in Bedrängnis bringen würde, der dem Paar wegen der Straftat der erschlichenen Einbürgerung zu Leibe rücken wollte.

2.
Denn den gesetzlichen Straftatbestand der Scheinehe gibt es nicht. Schon das Wesen der „normalen“ Ehe versucht das bürgerliche Gesetzbuch vergeblich zu fassen. Also ergeht sich der Gesetzgeber in Hilfskonstruktionen, um dem politisch unerwünschten Phänomen der Scheinehe beizukommen.
Strafbar ist das Einschleusen eines Ausländers nach dem Aufenthaltsgesetz. Ebenso steht der Menschenhandel entsprechend dem Strafgesetzbuch unter Strafe. Aber die eigentlich passende Norm des §1314 BGB, nach dem eine Ehe aufgehoben werden kann, wenn sie nicht ernstlich gemeint ist, greift gerade nicht.

Denn wenn etwas bei einer Scheinehe außer Frage steht, dann der ernsthafte Wille der Eheleute vermählt zu werden. Fraglich ist lediglich, ob die Eheleute auch zur ehelichen Gemeinschaft entschlossen sind. Wobei allerdings auch der Begriff der „ehelichen Gemeinschaft“  in Zeiten sich wandelnder Beziehungsbilder einigermaßen schwer zu greifen ist. Deutlich wird, dass hier einem politischen Problem mit an sich nicht passenden Mitteln begegnet werden soll. Deshalb werden moralische Wertungen ins Aufenthaltsgesetz transportiert, die dort eigentlich nichts zu suchen haben.
3592 Fälle des Erschleichens von Aufenthaltstiteln zählt die Statistik des Bundeskriminalamtes für das Jahr 2009. Hinter der nüchternen Zahl verbergen sich ebenso viele Schicksale. Diese ergeben jedes für sich betrachtet das Bild einer politischen Problemlage, der mit einer schematischen strafrechtlichen Verfahrensweise nicht begegnet werden kann. Dieses Bild zeichnet Nataša Drakula sehr deutlich mit ihrer Installation nach.

 „Und es ist ja auch keine politische Lösung, dass wir jetzt alle irgendwelche Leute heiraten. Das ändert nichts an den politischen Verhältnissen oder den Gesetzen“, stellt eine der Interviewten fest. Wie aktuell die in der Installation behandelte Problematik ist, zeigt nicht nur der Fall des nun mit Schimpf und Schande aus der Hamburger SPD vertriebenen „Obama von Altona“, Bülent Ciftlik. Nach seiner Verurteilung wegen Anstiftung zur Scheinehe einer Freundin  und der Verwendung des dafür erhaltenen Geldes zur Finanzierung seines Wahlkampfes ist seine politische Karriere vermutlich zu Ende. Obwohl immer noch berechtigte Zweifel an der Straftat bestehen, geriert sich die SPD als moralischer Kehrbesen. Abseits der politisch recht verzweifelten Lage der SPD in der Hansestadt zeigt dies auch die hohe Emotionalität, die sich mit dem Thema verknüpft.

Nicht immer waren Zweckehen so negativ konnotiert. Während des Holocaust retteten so genannte Papierehen manche Leben. Auch Rosa Luxemburg bediente sich ihrer, um eine Abschiebung zu verhindern. Heiraten, mit denen Menschen aus den früheren sozialistischen Staaten in die BRD gelangten, werden allgemein in einem positiven Licht gesehen, wie auch eines der Interviews der Installation zeigt.

3.
Nataša Drakula hat eine bestechend schlüssige Form gefunden, das diffizile Thema in den Kunstdiskurs zu transferieren. Die Multi-Chanel Media Installation transportiert die Erzählungen der Protagonisten adäquat und lebendig. Sie werden über die im Schattenriss erkennbare Gestensprache ihrer Hände und Körper individuell kenntlich, aber doch nicht identifizierbar. So wird deutlich, dass es sich um kein Thesenpapier oder um plakative Politkunst handelt, sondern um Beschreibungen individueller Schicksale. Diese stehen beispielhaft für eine gesellschaftliche Problematik, die wiederum auch nur ein Teil der politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen ist, denen moderne Gesellschaften und Staaten unterworfen sind.

Nataša Drakula ist sich darüber klar, dass die Zeiten agitatorischer Bilderwände und brachialer Politkunst vorbei sind. Sie schafft es, eine künstlerisch überzeugende Form für ein primär soziales Problem zu finden. Damit stellt sie sich in eine Reihe mit politisch engagierten Künstlern, die sich von platter Propagandakunst verabschiedet haben, aber sehr wohl erkennen, dass Kunst nicht im luftleeren sondern im gesellschaftlich bestimmten Raum existiert und zudem eine wichtigere Aufgabe hat, als Wohnzimmerwände zu schmücken.

Noch 1982 überzeugte Olaf Metzes mit einer Brachialaktion ‚Türkenwohnung’. Er flexte ein Hackenkreuz an die Wand einer leer stehenden Wohnung und bot diese dann per Zeit Zeitungsanzeige als Türkenwohnung mit einer Abstandssumme von 12.000 Mark an.

Nataša Drakulas künstlerische Stellungnahme ist da weitaus differenzierter. Mit ihrer Videoinstallation knüpft sie formal an Positionen an, wie sie sich beispielsweise in den Multi-Channel Installationen bei Susanne Weirich oder Marie-Jo Lafontaine finden. Bemerkenswert an der Installation ist daher nicht die an sich bekannte Form, sondern die Verknüpfung von Form und Inhalt. Denn die Schattenrisse haben nicht nur die Funktion, den Interviewten ihre juristisch notwendige Anonymität zu wahren. Durch die Reduktion erhebt die Künstlerin das einzelne Schicksal ins Beispielhafte. Weil alle Protagonisten gleichzeitig agieren und bei ihrer Erzählung parallel zu betrachten sind, wird klar, dass es sich um eine ausdrückliche künstlerische Stellungnahme und ein Bild und nicht um Politdokumentation handelt.
Beispiele aus der unmittelbaren Museums- und Ausstellungspraxis  haben gezeigt, dass bei der Transformation von primär sozialen Begebenheiten in die künstlerische Form erhebliche Schwierigkeiten bestehen. Vielfach sieht sich der Künstler der Frage ausgesetzt, ob er nicht überflüssiges Agitproptheater betreibe und sich an einer Form versuche, die dann doch besser in der Filmdokumentation oder im kleinen Fernsehspiel aufgehoben ist. Dieser Falle entgeht Nataša Drakula, indem sie eine auch ästhetisch überzeugende Formulierung findet.

Um die Interviews zu hören, bietet sie dem Betrachter Kopfhörer. So hat er oder sie die Möglichkeit sich ganz auf die Erzählung zu konzentrieren. In dieser Weise ist der Betrachter allein gelassen mit den Migrationserzählungen, die mittlerweile zumeist ein glückliches Ende gefunden haben. Obwohl es sich um keine interaktive Installation handelt, kommt die Erfahrung im abgedunkelten Raum doch einem Zwiegespräch nahe. In dieser Weise wahrt die Ausstellung auch die Würde der Erzählenden. Gerade weil das stark formalisierte und nicht selten von Schikanen begleitete Heiratsprozedere aufgrund seines bürokratischen Ablaufes oftmals angetan ist, den Antragsteller zu diskriminieren, war es für die Künstlerin wichtig, eine auch formal überzeugende Form zu finden.

Die Absurditäten des Verwaltungsverfahrens benennen auch die Interviews. Dem Ägypter, der eine deutlich ältere deutsche Frau liebt und sie deshalb heiratet, schlägt schon aus diesem Grunde Misstrauen entgegen. In der Konsequenz verweigert die Behörde ihm zunächst das Besuchsvisum. Eine Skandalisierung vermeidet die Künstlerin, wohl nicht zuletzt, weil ihr die Schilderungen der Interviewten aus eigener Betroffenheit nahe gehen.

Obwohl es sich um eine ebenso eindeutig politisch konnotierte Kunst wie beispielsweise bei der amerikanischen Künstlerin Barbara Kruger handelt, gibt Nataša Drakula dem Betrachter und den Protagonisten doch genug Raum, eigene Positionen zu entwickeln. Mit ihrer Installation zeigt sie, dass originär künstlerische Mittel und Betrachtungsweisen die auf der ästhetischen Ebene funktionieren, einen deutlich erhellenden Beitrag zur aktuellen Diskussion über Assimilierungs- und Integrationsprozesse liefern können. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen